Unterwäsche für alle, die mit Push-ups nichts anfangen können

Die Models zu dünn und die Push-ups zu dick: Das Wäschelabel Victoria’s Secret hat den Anschluss an den Zeitgeist verloren. Neue Labels wie das von Popstar Rihanna sorgen für Ersatz.

Spitze Overknees zu karierten String-Tangas. Kniestrümpfe zu Korsagen. Funkelnde Colliers zu tiefen Dekolletés. Und schimmernde Körbchen-BHs zu bunten Engelsflügeln. Seit 20 Jahren inszeniert das amerikanische Wäschelabel Victoria’s Secret seine Dessous mit Mega-Modenschauen, für die sich manche Models neun Tage lang nur flüssig ernähren und Häuptlingskronen auf den Kopf setzen. An der hysterisch-guten Laune, den geölten langen Beinen und der Aufregung um die Frage, wer den „Fantasy Bra“ tragen wird, hat sich im Laufe der Zeit wenig geändert.

An den Einschaltquoten hingegen schon. Etwas über drei Millionen Zuschauer verfolgten Anfang Dezember die TV-Ausstrahlung der Victoria’s-Secret-Schau auf dem US-Sender ABC in diesem Jahr, so wenige wie noch nie seit 2001. Was einige Leute vom Einschalten abgehalten haben könnte: Die Kommentare des Marketing-Chefs Ed Razek in der US-„Vogue“, dass man nicht vorhabe, Transgender-Models auf dem Laufsteg zu zeigen. „Weil die Schau ein Fantasie-Spektakel ist“, sagte er. Eine Fantasie, die immer noch sehr viele Menschen ausgrenzt. Und deshalb als Strategie im Jahr 2018 nicht mehr funktioniert.

Die Verkaufszahlen sinken, die Aktie der Muttergesellschaft L Brands verzeichnete im Juli einen Wertverlust von fast 50 Prozent. Der Zeitgeist hat sich geändert, Victoria’s Secret hingegen nicht. Das Frauenbild sieht immer noch nach Männerfantasie und einem standardisierten Schönheitsideal aus; Metallic-Korsagen mit pinkfarbenen Bordüren passen nicht mehr so richtig zum Selbstbild weiblicher Millennials, die unrasierte Achseln als feministisches Statement betrachten und mehr Vielseitigkeit auf Laufstegen und in Kampagnen fordern. Diese sechs Labels zeigen, wie man Dessous-Kundinnen heute richtig anspricht: mit Models aller Hautfarben, Altersgruppen und Kleidergrößen und den richtigen Passformen.

Für kleine Brüste: Aikyou


Es gibt keine falsche Brust: AIKYOU bietet BHs für kleine Busen
Quelle: AIKYOU

Wo viel ist, braucht es viel Halt. Und wo wenig ist, braucht es viel Polster. Seit Jahrzehnten verkaufen Dessous-Hersteller ihre Produkte mit dem Versprechen, den weiblichen Körper optisch zu verbessern. Gerade die Botschaft an Frauen mit kleinem Busen war klar. „Bis vor Kurzem suggerierte der Unterwäschemarkt ausschließlich, die kleine Brust müsse vergrößert werden, gerne mit 2,5-fachem Push-up“, sagt Gabriele Meinl. Sie hat mit Bianca Renninger die Marke Aikyou aus Baden-Württemberg gegründet. Ihre Botschaft: Die falsche Brust gibt es nicht. Nur den falschen BH. Also wollen sie den kleinen Busen feiern, wie er ist, und entwickeln Kollektionen, die sich speziell an Frauen mit kleineren BH-Größen richten. „Es ist wie bei Frauen mit großem Cup: Es gibt einfach zu wenig genau dafür gemachte Unterwäsche auf dem Markt“, sagt Bianca Renner. Aikyou füllt die Nische mit minimalistischen, meist in Schwarz gehaltenen Bustiertops und dezenten Mesh-Einsätzen, Cut-outs und Spitzendetails, die gezielt kleine Brüste in Szene setzen sollen, ohne sie zu verfremden.

Für Puristen: Moons & Junes

 

 

 
 
 
 
 
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Black Rosa on Zelma @zelmalewerissa 🖤 📸 Alona @alonavibe

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Die Verschlüsse reiben, die Träger zwicken, die Bügel schneiden ein: Die meisten Büstenhalter sind mit allerlei Hilfsmitteln konstruiert, die oft eher stören als nützen. Einige junge Frauen verzichten daher ganz darauf und dokumentieren diese Entwicklung mit Hashtags wie #freethenipple und #nobra auf Social Media. Die dänische Marke Moons & Junes liefert eine andere Alternative und geht mit einer „No Bullshit“-Philosophie ans Dessous-Design heran: Bügel, formgebende Körbchen, Push-up-Kissen, Schleifchen oder Spitze lässt man einfach weg. Übrig bleiben sehr simple Bustiers und Slips aus leichten Mesh-Materialien, die je nach Modell für größere Größen mit mehr Stoff verstärkt werden. Die Dänin Agnete Bjerre-Madsen gründete Moons & Junes mit gerade mal 20 Jahren und hatte da bereits eine Kundin im Sinn: Sich selbst, eine ehemalige „Push-up-Süchtige“, wie sie sagt. „Ich erinnere mich noch an zwei bemerkenswerte Narben in der Mitte meines Torsos, die scheuernde Bügel über die Jahre hinterlassen hatten.“ Bjerre-Madsen nervte nicht nur der Schmerz, sondern die Art, wie formgebende Dessous ihr Körpergefühl negativ beeinflussten. „Wenn sich ein Büstenhalter einfach deiner natürlichen Form anpasst, verliert man das Gefühl, dass er das eigene Aussehen verzerrt“, sagt sie. Weil es viele unterschiedliche Körpertypen gibt, steht das junge Label auf Social Media ständig im Austausch mit seinen Kundinnen und hört auf ihre Meinung. Umgesetzte Wünsche für die neueste Kollektion: Breitere Träger, weichere Gummibänder und eine zusätzliche Größe.

Für die richtige Größe: ThirdLove


Standard-Maße? Nicht bei ThirdLove
Quelle: Third Love

Über 74 BH-Größen bietet die Firma ThirdLove aus den USA an – das ist doppelt so viel wie der Großteil der Konkurrenz es liefern kann. Aber das Start-up hat sich auch nie nach vorgefertigten Größentabellen gerichtet, sondern nach echten Frauen: Neue Modelle werden stets an Models, Mitarbeiterinnen, Freundinnen und Kundinnen getestet, bevor sie es in den Handel schaffen, ein Verfahren, das zum Beispiel zur Einführung von Zwischengrößen geführt hat, die sonst nirgendwo üblich sind. ThirdLoves Bestseller ist der „24/7 T-Shirt Bra“: Ein schlichter Körbchen-BH aus weichem Jersey-Material. Und der soll nicht nur zu verschiedenen Brustformen passen: ThirdLove bietet mit der „The New Naked“-Kollektion auch ein breites Repertoire an Nude-Designs an, welches die passende hautfarbene Unterwäsche für Frauen unterschiedlicher Hautfarben verspricht.

Für Realisten: Aerie


Unretuschiert. Oft sind Kundinnen die Models
Quelle: American Eagle

Aerie gehört zum amerikanischen Modekonzern American Eagle und existiert bereits seit 2006. Doch erst 2014 wagte man einen ungewöhnlichen Schritt, der die Strategie für die Zukunft festlegen sollte. Kampagnenfotos wurden erstmals unretuschiert veröffentlicht und das positive Feedback sowie die daraufhin steigenden Verkaufszahlen motivierten die Markenchefs, Aerie als Botschafter der aufkeimenden „Body Positivity“-Bewegung zu positionieren. Die #AerieReal-Kampagne ging seitdem jedes Mal einen Schritt weiter. Auf den Werbefotos sieht man Frauen mit Narben, Pigmentflecken, Krücken, im Rollstuhl oder sogar ein Model mit sichtbarem Kolostomiebeutel, der auf einen künstlichen Darmausgang hinweist. Die Kundinnen lieben es. Schließlich werden oft sie selbst als Models vor die Kamera gebeten.

Für die Periode: Dear Kate


„Menstruations-Unterwäsche“ – der man es nicht ansieht
Quelle: Dear Kates

In den vergangenen Jahren hat sich auf dem Wäschemarkt eine komplett neue Kategorie etabliert: „period-proof underwear“, also Schlüpfer, die während der Periode getragen werden und Flüssigkeiten auffangen sollen, sodass man auf Tampons oder Binden verzichten kann. Dear Kate gehört hier zu den Pionieren. Die ehemalige Ingenieursstudentin Julie Sygiel entwickelte ihre Idee zur „Menstruations-Unterwäsche“ bereits während ihres Studiums an der Eliteuniversität Brown und gründete ihr Unternehmen 2015. Weit über das Thema Menstruation hinaus erkennt ihre Marke an, dass Frauen in unterschiedlichen Situationen das Bedürfnis nach Unterwäsche haben, die ihnen ein frisches, trockenes Gefühl gibt – zum Beispiel in der Schwangerschaft, bei Inkontinenz oder im Sport. Der dreischichtige, atmungsaktive Material-Mix, der für die Slips verwendet wird und Ausfluss verhindern soll, steckt daher auch in Yoga-Hosen und Bodies.

Für Mutige: Savage x Fenty


Für fülligere und schlanke, helle und dunkle Frauen: Popstar Rihanna in einem Modell ihrer eigenen Dessousmarke
Quelle: Savage X Fenty

2012 sang Rihanna noch auf der Show von Victoria’s Secret, im September 2018 zeigte sie auf der New York Fashion Week ihre selbst entworfene Unterwäsche auf dem Laufsteg. Und machte dabei alles anders als ihr früherer Auftraggeber: Von der Athletin bis zum hochschwangeren Model Slick Woods, die kurz nach der Schau ihr Baby auf die Welt brachte, waren alle möglichen Körperformen vertreten. Statt schwingenden Hüften sah man schwitzende, sich schlangenartig windende Körper, die gesamte Performance erinnerte eher an modernen Ausdruckstanz denn an eine Modenschau für Lingerie. Doch Rihanna mag es nicht nur schräg, sondern auch extravagant: Ihre Dessous, die sie mit der Marke Savage entworfen hat, sind mit abstrakten Blumenmustern bestickt oder mit Tigerstreifen bedruckt, die Slips erhalten Jeans-ähnliche Knopfverschlüsse und die Korsagen kommen auch mal ohne Körbchen aus. Selbstverständlich soll alles an fülligen wie an schlanken, an hellen wie an dunkleren Frauentypen fabelhaft aussehen – so zeigt es das vielseitige Model-Casting im Online-Shop.

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