In den nuller Jahren fing es an: Plötzlich gingen Leggings als Hose durch. Und damit waren nicht nur Yoga-Pants gemeint, die man bereits zu Hause anzog, um dann im Studio gleich auf die Matte zu hüpfen. Nein, die hautenge Hose emanzipierte sich zu einem eigenständigen Kleidungsstück, erhältlich in allen Farben des Regenbogens, gerne auch als Jeans-ähnliche Jeggings. Und sie kam, um zu bleiben. Heutzutage trägt man sie knielang als Radlerhose. Klar war aber: Leggings sind, wie Strumpfhosen und Röcke, ein Frauending.
Das scheint sich gerade zu ändern. Stars wie Schauspieler Shia LaBeouf zeigen sich in Meggings, ein Kunstwort aus «Men» und «Leggings». Das Online-Portal für angesagte Männermode, Mr. Porter, scheint an den Trend zu glauben: Es hat diverse Modelle im Angebot. Das gibt zu reden.
Männer in Leggings zeigen mehr, als wir es gewohnt sind
Denn während Leggings den Unterleib von Frauen so glatt bügeln, als wären sie Barbiepuppen, passiert bei Männern das Gegenteil: Hier wird mehr gezeigt, als wir es gewohnt sind. Modehistorisch orientieren sich Leggings für Männer an den Beinlingen des 15. und 16. Jahrhunderts, hüfthohen Strümpfen, die gerne mit einer Schamkapsel kombiniert wurden. Diese wurden in der Regel grosszügig geschnitten und liessen wohl genug Platz, um auch als Tasche zu fungieren, für Orangen zum Beispiel.
Wenn man die Frage stellt, ob Männer Leggings tragen dürfen, sollen, können, stellt man eigentlich die Frage, wie viel Körperlichkeit unsere Gesellschaft gerade aushält. Die Antwort ist ziemlich eindeutig: wenig. Zumindest keine, bei der Körper zu sehen sind, die nicht so makellos sind wie jene, die wir aus der Werbung und aus den Filter-verwöhnten Online-Plattformen gewohnt sind; der sogenannten Body-Positivity-Bewegung zum Trotz wird das Zur-Schau-Stellen nicht perfekter Körper jeglichen Geschlechts nach wie vor gnadenlos kommentiert.
Mit sichtbaren Geschlechtsteilen kann man gerade ungemein provozieren
Dazu kommt: Mit sichtbaren Geschlechtsteilen kann man gerade ungemein provozieren. In den Neunzigern durfte man im Fernsehen noch Nippel unter der Kleidung sehen. Diese Zeiten sind vorbei. Das männliche Geschlechtsteil wird ebenfalls gut bedeckt. Speedos? In den achtziger Jahren noch allgegenwärtig, werden die knappen Badehosen heutzutage fast nur noch von Männern getragen, die sich damals eine gekauft haben und nun nicht einsehen wollen, wieso sie in ein neues Badetenue investieren sollen, obwohl das alte noch nicht auseinanderfällt. Herrenslips wichen Boxershorts. Eng anliegende Hosen im Sport werden nur bei Radfahrern toleriert. Jogger, die Leggings wählen, tragen Shorts darüber.
Warum Männer überhaupt Leggings tragen wollen, muss man niemandem erklären, der schon einmal welche anhatte: Es gibt kein bequemeres Kleidungsstück. Aus dem richtigen Stoff gefertigt, machen sie wie eine zweite Haut tatsächlich jede Bewegung mit. Wer Meggings trägt wie Schauspieler Shia LaBeouf, der beginnt einen Seiltanz zwischen zwei Männerbildern. Das eine, der körperbewusste Yoga-Versteher, für den die Gleichberechtigung nicht beim Kleiderschrank aufhört, ist gerade gern gesehen. Ganz im Gegensatz zum Potenzprotz, der seine Virilität zur Schau stellt.
Welche Botschaft ankommt, liegt beim Empfänger: Frauen kennen dieses Dilemma allzu gut. Es wird spannend sein, zu beobachten, ob Meggings sich eher durchsetzen werden als andere Kleidungsstücke, die ursprünglich weiblich konnotiert sind wie etwa der Männerrock. Wir glauben: Ja. Momentan werden sie zwar nur von wenig Männern und nur zum Sport getragen. Aber so fing das mit den Frauen und den Leggings damals auch an.